1. Strophe:
Die Alte aus dem dritten Stock mit dem Loch im Rock, die Alte mit den ungewasch#nen Haar’n, ist gestern Abend zum Himmel gefahrn.
2. Strophe:
Und oben stand der Genosse Gott, der nahm ihr die alte Hässlichkeit fort. Und wie sie so frisch gewaschen war, war sie wieder wie siebzehn Jahr.
3. Strophe:
Da sagte die Schöne: Herrgott, verzeih, ich war doch in meinem Leben nie fromm. Und sage mir doch, wieso grade ich nach meinem Leben in Himmel komm.
4. Strophe:
Ich habe auch gar nichts Großes getan. Die Tage vergingen, kaum fingen sie an. Kein Dichter und kein Denker war ich, war, wie die meisten sind, sicherlich.
5. Strophe:
Da sagte der Herrgott; Das ist verziehn. Die immer nur rutschen auf den Knien, in der Hand das Gebetbuch, im Kopf Stroh und Stein, die kommen niemals in den Himmel hinein.
6. Strophe:
Vom Buckeln und Beten wird das Kreuz krumm. Vom vielen Nachplappern wird der Mensch stumm. Vom vielen Trompeten wir das Ohr taub. Und alle, die so sind, werden schnell Staub.
7. Strophe:
Da sagte die Schöne: Wenn du das weißt, verstehe ich nicht, warum’s immer heißt: lobet, so lobet, so lobet den Herrn. Ich dachte immer, der Herr hört das gern.
8. Strophe:
Der Herr wurde zornig: Ist das der Dank, war ein Tag im Himmel schon zu lang. Was unten einst nötig, hier oben ist’s nicht, es ist nicht mehr nötig, dass man widerspricht.
9. Strophe:
Da sagte die Schöne: Mein Gott, intressant, ist das das immersobleibende Land? Ich möchte aber nicht immer gleich aussehn, mich vorm Spiegel betrachten, was bin ich schön.
10. Strophe:
Gib mir meine Hässlichkeit darum zurück. Da liegen darinnen Trauer und Glück, da teilen sich redlich rein Freud und Leid und all diese gute und schlechte Zeit.
11. Strophe:
Kaum war dies gesprochen, fieln von ihr ab die Kleider, Tünche, das ganze Make-up. Die Löcher hatte sie wieder im Rock, war wieder die Alte vom dritten Stock.
12. Strophe:
So fand man sie liegen im Morgengrau, weißhaarig, eben die alte Frau. Ein leises Lachen schräg an ihrem Mund: Ich habe gelebt, und ich weiß den Grund.